Treffen (Part three)

Ich versuche angestrengt auf andere Gedanken zu kommen, mich von ihr und mir abzulenken. Nicht scheinbares begreifen zu wollen. Denn Dingen seinen lauf lassen und mir nichts einzureden, dass am Ende doch nur schmerzen könnte. Selbstzerstörung fällt mir dabei ein. Wut und Selbsthass. Die Welt geschrumpft in depressiver Dunkelheit.
Trostlosigkeit und schwerer Atem fällt mir dabei ein.
Also lass ich’s. Hab einfach keinen Bock darauf.
Wir bummeln über eine schwankende Brücke und unter uns gondelt ein kleines Ausflugsboot. Eigentlich viel zu klein für diese, nach allen Seiten fotografierende Menschenmenge. Folgen ihm einer kleiner Allee entlang. Grüne Kastanienbäume. Rostbrauner Holzbänke voller bekiffter Studenten und turtelnder Pärchen. Rastenden Pensionisten vor gurrenden Brotkrümeltauben. Idyllisch, idyllisch. Ach ja, wie romantisch.
Was soll ich mit einer Frau? Wie Idiotisch. Lauf und befreie dich solange es noch geht. Bevor sie dir den restlichen Verstand aus dem Gehirn saugt. Mit diesen blassrosa weichen Verführer Lippen die mich so richtig kalt lassen. So richtig. Bevor sie es mit ihrem Frauen Hokuspokus schafft, dich in ihren Wirkungskreis zu ziehen. Lauf, Forrest, lauf. Ein Frau würde mein Leben nicht gerade erleichtern. Was könnte ich ihr auch schon bieten? Man nehme eine zerrissene Persönlichkeit und multipliziere sie mit grundlosen Selbstmordgedanken, ziehe davon anhaltende Gedankenwut ab und dividiere das Resultat durch den sich ergebenden Restwert Null. Was bleibt ist ein großes, schweißgebadetes Nichts.
Weniger als das.
Was bleibt sind verzweifelte Nächte in der Toilette in denen du auf Rasierklingen starrst. Oder dich dabei ertappst, wie du dir den Gürtel aus den Schlaufen deiner Hose ziehst. Langsam, ganz langsam. Du vegetierst vor dich hin und weißt selbst nicht so recht warum. Warum das alles, fragst du dich.
Der Abend rollt über die Stadt und mir wird kalt. So richtig. Ich frage mich, ob ich mich von ihr verabschieden sollte. Rein in den Bus und ab mit dir. Ich frage mich, wie ich mich dafür bestrafen würde. Mit brutalen Nächten in noch brutaleren Gefühlswelten? Mit Alkohol und Schlafentzug? Aber sicher doch. Gehört das nicht alles mit zum Spiel?
Was will sie mit ihrer Unnahbarkeit? Glaubt sie tatsächlich, dass mich das blau ihrer Augen fesseln könnte. Ihre tolle Figur? Glaubt sie tatsächlich ich wäre so naiv und würde darauf hereinfallen. Auf ihre Scheiß Lockerheit? Der Wahrheit und dem klang ihrer Stimme? Ihrem zögernden Lächeln?
Auf all die erbärmlichen Gemeinsamkeiten?
Ich doch nicht!
Der Abend rollt über die Stadt und mir wird kalt. So richtig.
Weil ich bemerke, das der Bus schon abgefahren ist. Jede Sekunde ein weiterer Schritt. Ich habe die Empfindung, als würde alles von jetzt an, von diesem Augenblick, einer vorherbestimmten Zukunft folgen, die nicht mehr Rückgängig gemacht werden könne. Das jedes Wort von diesem Moment an, dem Augenblick in dem DU diese Zeilen liest, in unsere Geschichte gemeißelt werden wird. Ob positiv oder auch nicht. Ich rede hier nicht von Beziehung oder Liebe oder solchen Kram. Ich rede von Vertrauen und Freundschaft. Ehrlichkeit im Sinne von schonungsloser Wahrheit. Offenheit und nur mit viel Glück auch Liebe. So sehr ich sie mir auch wünsche oder erträume.
Ich bin der laufende und keuchende Biospielplatz des Lebens.
Du hast keine Wahl.
Ich tanze durch die Welt. Durch meine Welt, und stolpere so manches Mal über ihre Hindernisse. Was soll’s, denk ich mir. Ich las mich doch nicht von dieser Frau fertig machen. Während wir durch den Park spazieren, stelle ich mir Nächte mit Wein und vegetarischen Sojamilchcrackern vor. Guter Musik und dem Geschwafel von Vergangenem. Dazu braucht es noch nicht einmal das flackern von Kerzen. Ich stelle mir vor, wie sie mir leicht errötet eine neue Geschichte zeigt die sie geschrieben hat. Sie sagt: „Ich schreibe Geschichten.“
All die kleinen verblödeten Gemeinsamkeiten.
Idiot.
Der Schotter unter unseren Beinen knirscht gemächlich, wir sprechen über Wasserfontänen in Parkanlagen und beobachten davor eine Picknickende Familie. Grillender Mann. Stillende Frau. Fußballspielende Kinder. Ein bellender Hund. Ach ja, wie romantisch.
Und Wind kommt auf.
Sie geht so dicht neben mir, dass ich den femininen Duft ihrer Haare riechen kann. Ich möchte ihr in die Augen sehen und sie fragt, ob das die Rückseite von diesem Scheiß Gasthaus sein könnte. Und ich so darauf: „Weis nicht, kann schon sein.“
Ich möchte ihre Hand nehmen. Mehr nicht.
Verlassen den Park, fliegen über aufgerissenem Asphalt. Der Verkehr wirkt schläfrig und dennoch Rastlos, seufzt und stöhnt unaufhörlich neben uns. Ich bin ein Beobachter und könnte nicht die Farbe eines einzigen Gefährtes sagen, der Planet um uns herum im Stand by Modus. Würde sich neben uns ein Atom U-Boot aus dem Boden graben um seine Raketen auf landende Außerirdische abzuschießen, ich würde es nicht bemerken.
Wind kommt auf, das Licht ist so, wie ich mir zu Mitternacht in den Fjorden Norwegens vorstelle. Mitternachtssonne. Wind kommt auf und schiebt unbemerkt Wolken vor sich her, wirbelt uns in einen überfüllten Biergarten. Mit allem Drum herum. Dichten Laubbäumen, grün und Saftig wie Almwiesen in den Käsewerbungen. Für einen kurzen Augenblick erwische ich mich dabei, wie ich nach einer Kuh Ausschau halte. Gelangweilt ihr Kiefer von einer Seite zur anderen schiebend, inmitten der Tische, Stühle und Bänke auf feinem Kies. Eine Kuh ist nicht zusehen, an ihrer Stelle dafür ein freier Tisch. Kaum zu glauben.
Wir setzen uns und bestellen ein Bier und ich steck mir eine Kippe an und Leute reden und die Tische sind grün Lackiert und das alles nur weil sie mal kurz auf der Toilette ist. Ich sollte wohl wieder meine Haare in Ordnung bringen und mein Shirt glatt streifen. Ich sollte aufhören zu rauchen und mir keine Gedanken über den nächsten Satz machen. Ich sollte aufhören zu Denken und mir weiterhin einreden das ich nichts für sie Empfinde. Ich sollte wissen das Liebe mit der Erfüllung von Erwartungen Hand in Hand geht. Hand in Hand.
Sie sagt: „Hier bin ich wieder.“ und sie sagt: „Ich soll ihr eine runterhauen wenn sie sich eine Zigarette nimmt.“ Ich sag nur: „Mach ich, versprochen!“ Und dann lege ich ihr das Päckchen vor die Nase. Und kichere.
Idiot.
Die Kellnerin bringt unser Bier und wir reden darüber, wie wir uns kennen lernten. Wie wir uns jeden Tag an der Bushaltestelle sahen, uns gegenseitig ignorierten. Manchmal dämlich lächelnd, manchmal tief und gründlich in den Morgen gähnend. Manchmal bewunderte ich sie einfach nur. Sie sagt, das war schon fast peinlich dass wir nichts sagten. Sie sagt auch, dass sie doch meist die einzige Frau an der Bushaltestation sei. Sie sagt: „Ich wusste das wir uns an dem Tag anquatschen würden.“ und, dass es so kommen musste.
Ich frag so, wie viele Frauen denn nötig sein müssten um zu behaupten, man könne einem als Individuum auffallen. Als Person. Als einzelner Mensch. Ich sag auch: „Ich denk, das spielt keine Rolle. Ausstrahlung sei nun mal Ausstrahlung.“ Ich sag auch, dass ich keine Probleme damit hätte, fremde Frauen anzusprechen. Sie sagt: „Ach ja?“ Worauf ich so: „Bei dir lagen meine Nerven blank.“
Ich erfuhr was sie beruflich machte, und es wunderte mich nicht so sonderlich. Irgendwie habe ich es sogar gewusst. Bei jeder morgendlichen Busfahrt erfuhr ich mehr über sie, und je mehr ich über sie erfuhr, umso mehr gefiel sie mir. Mit jeden Kilometer den wir im hundertdreißiger abspulten, ein bisschen mehr. Ein schönes Plätzchen ist der nächste Kilometer, der nächste Meter.
Der nächste Meter der nächste Schritt.
Sie sagt: „Es sei immer ein leichtes, Leute anzusprechen die einem nichts bedeuten. Erst wenn ein Gefühl dabei ist, werde es so richtig schwer.“
Ich sag, dass ich mir das sehr gut vorstellen könne. Ich sage: „Hallo, ich bin der so und so und du gehst mir so richtig am Arsch.“ Klar, sag ich so, und dass es wohl kein Problem sei und kichere und zieh noch mal an meiner Kippe und lehne mich zurück
Idiot.
Ein Wind zieht auf, und die Nacht beginnt, die Lichter in den Umliegenden Häusern anzuknipsen. Die erste Strahlung von Straßenlaternen flackernd in den Asphalt zu schießen. Legt sich über die Dächer und Bäume und lässt sie zu schwarzen Konturen verkümmern.
Sie meint, dass es gut möglich sei, dass es zu regnen beginnt.
Ich sag: „Ich finde nicht das du morgens recht düster wirkst.“ Ich sag: Guck mich doch mal an!“ Ich versuche dabei, ihr in die Augen zu sehen, und sie sagt, dass sie den Geruch von aufkommendem Regen liebe. Denn in unsere Gesichter wirbelnden Wind und all das.
Ich sag auch, das ich ganz und gar nicht finde, ihr Gewand sei immer schwarz. Das ich nicht verstehe wie sie darauf kommt, sie könne düster wirken. Ich sag: „Ich finde dich einfach Interessant.“ Und ich frag, ob das denn nicht genug sei.
Sie durchsucht den Nachthimmel und sagt: „Das könnte heftig werden.“
Wir mussten zweihundertzwölf Komma fünf Kilometer im hundertdreißiger zurücklegen, das sind dreizehn Stunden oder vierundzwanzig Schritte ehe sie bereit war, sich mit mir zu treffen. Wir verabredeten uns nach der arbeit im Bus und ich musste dutzende Klingeltöne über mich ergehen lassen, ehe sie sich neben mich setzte.
Ich sag: „Der Abend ist schön.“ und ich flüstere in die von ersten Blitzen durchzuckte Nacht, das ich mich gut fühle. Wie seltsam doch das Leben sein kann. Ich sag auch: „Einfach Cool.“
An was denkt sie?
Wind kommt auf. Kleine Böen bringen über uns die Blätter zum rascheln, erste Regentropfen knallen auf den Tisch vor uns und ich frage mich, ob es ihr auch so egal ist wie mir. Sie sagt: „Ich liebe dieses Wetter.“
Immer diese völlig bescheuerten, oberflächlichen und nichts sagenden Gemeinsamkeiten.
Ich muss plötzlich an ein Zitat Oscar Wildes denken:

Heutzutage kennen die Leute vor allem den Preis und von nichts den Wert.
An den Gedanken daran muss ich lächeln, weis aber nicht so recht warum, deshalb nehme ich noch einen Schluck und steck mir eine Zigarette an. Lehne mich zurück, genieße die frische Brise die durch den Garten fegt und mehr und mehr Tische zu verlassenen und nass glänzenden Holztellern werden lässt. Lichterketten spiegelnd. Kleine gelbe Punkte in immer größer werdenden Pfützen. Wir setzen uns unter ein Flugdach aus Plastik, von deren Rand Wasser schießt wie aus geneigten Hutkrempen. Die Welt klingt wie ein Gedicht welches der Regen auf das Dach trommelt. Der frische Geruch nasser Blätter und voll gesogenem Holz liegt in der feuchten Luft, ist wie elektrisch geladen. Blitze zucken.
Sie ist in wunderschönes Licht getaucht.
Ihre Augen funkeln darin, Wassertropfen glitzern nur weil sie an ihrer Schulter abperlen und sie sagt etwas. Ich möchte ihre Hand berühren. Nicht mehr.
Ich sollte auf der stelle verschwinden, brauch den Scheiß echt nicht. Die frage ist nur, wie du dich bestrafen würdest, also bleib ich. Der einzige Grund.
Sie hat nicht das Geringste damit zu tun.
Das ist nicht Liebe!
Sie sagt: „Wie bitte? Was?“
Ich sag: „Nichts.“ und schüttle nur den Kopf und murmle irgendwas wie: „Vergiss es.“
Wir leeren den Rest unseres Bieres und beschließen zu gehen, schlendern hinein zur Bar und ich deute durch die Tür auf die regennasse Straße. Tausende Wassertropfen knallen Zeitgleich in riesige Pfützen und waschen den Smog aus der Atmosphäre, das grellorange Licht der Straßenbeleuchtung spiegelt sich in kleinen, sich konzentrisch ausbreitenden Kreisen. Autos zischen vorbei, den Scheibenwischer auf Höchstleistung gestellt. Eine Frau mit hochgestellten Kragen läuft geduckt aus der Tür und springt hastig in die Fluten der Nacht um nach wenigen Schritten von ihr klatschnass verschluckt zu werden.
Ich frage sie schmunzelnd, noch immer zur Tür hinaus deutend, ob sie sich sicher sei und bin nicht im Geringsten davon überrascht, dass ihr der Regen egal ist. „Dein Zug fährt leider bald.“ ist tausendmal besser als ein: „Scheiße, meine Haare werden nass.“ Oder: „Ich geh da jetzt nicht hinaus, du weist schon, meine Schminke und so.“
Um Längen besser. Um Galaxien.
Keine möchtegern Diva. Eine Frau.
Also bezahlen wir und stürzen in diese wunderbare Nacht, eine Nacht, die in absehbarer Zeit zu ende sein würde. Viel zu schnell. Die Sekunde prasseln durch die Zeit wie der Regen vom Himmel. Gehen Seite an Seite. Tropfend Nass. Das Gefühl einer verwandten Seele. Fühle mich so frei und losgelöst wie seit Jahren nicht.
Unglaublich. Ich bin ernsthaft … glücklich.
Wie macht sie das?
Das ist nicht Liebe, das ist Sucht.
Mehr als das.
Es ist die Freiheit loszulassen ohne Konsequenzen, ohne der Angst falsch zu handeln oder etwas unehrliches zu sagen, denn dass wird nicht passieren. Ich bin in diesen Moment nicht einmal fähig dazu, weil ich mich auf das wesentliche reduziere. Diesen Augenblick. Denn wenn ich Pech habe, wird es diesen Moment in meinem Leben nie wieder geben. Also versau ihn nicht mit Lügen oder Zweifel oder irgendeinem beschissenen Machogehabe. Las los und genieße ihn. Dazu braucht es noch nicht einmal das flackern eines Wolkenlosen Nachthimmels. Keine Sauteuren Restaurants, blutrote Sportwagen oder den muffig langweiligen Chlorgeruch vor irgendeiner dreizehnbadezimmerscheißvilla. Dazu braucht es nur den Moment. Sich auf das wesentliche zu reduzieren bedeutet vielleicht auch, die Gewissheit, diese unverrückbare Sicherheit zu wissen und aus tiefster Überzeugung zu fühlen das … Was auch immer.
Wir befinden uns viel zu früh am Bahnsteig, studieren den Fahrplan und sie sagt: „Bei mir ist nicht aufgeräumt, aber wir müssen nicht hier im Regen warten.“
Ein schönes Plätzchen ist überall. Mir ist alles Recht. Selbst wenn sich ihre Wohnung auf einen durchtränkten Pappkarton begrenzte, es würde nichts ändern. Wasser läuft von ihren Haaren und ihre Haut glänzt verführerisch und ich müsste Lügen wenn ich behaupte, ich würde das nicht verdammt sexy finden. Was soll’s. Gehört das nicht mit zum Spiel?
Sollte ich den Glanz ihrer Augen in diesem Licht, dem typischen Bahnhofsschein von Neonlampen, Werbebotschaften und Getränkeautomaten absichtlich ignorieren? Die zarten Reflexionen einer Wasserschicht die sich wie eine zweite Haut über ihren Körper legt? Ihr feuchtes, ärmelloses Shirt das sich an ihre Hüften pappt. Ihre wunderschöne Figur betont? Sind das denn nicht die Requisiten im Marionettentheater der Biologie? Bin ich deswegen ein schlechterer Mensch nur weil ich das bemerke? Ich denke nicht.
Ich denke auch nicht an Sex. Nichts ist mir im Augenblick unwichtiger als das. Sie sagt, sie hätte nur noch eine Dose Bier zuhause, worauf ich so mit der Schulter zuck und sag: „Na gut, dann Teilen wir eben.“ Als wäre mir das wichtig.
Ein seltsames Gefühl wenn du durch den strömenden Regen schlenderst und ihn nicht bemerkst. Nicht einen Tropfen. Mir fällt das erst auf, als wir vor der Einganstür zu ihrer Wohnung wurzeln. Regnet es überhaupt noch? Hat sich die Welt nicht auf uns beide beschränkt?
Wir setzten uns auf einen kleinen Teppich und starten den Laptop, hören ihre Musik. Teilen das Bier, sie besteht auf Gläser. Ich sehe einen Balkon auf dem es noch immer wie aus Kübeln gießt. Also doch. Sie hat ihre Beine leicht angewinkelt und stützt sich auf einen Arm, in der zweiten das Glas und in ihrem Blick ein Geheimnis. Streicht sich über ihre nackte Ferse, wie es Frauen so oft machen.
Noch zehn Minuten in ihrer Wohnung oder drei Lieder ehe sie nicht mehr neben mir sitzt. Wir knappern an irgendwelchen Crackern und schlürfen an einem Bier und hören Musik und ich frage mich ob ich ihre Hand nehmen soll. Sie sagt, sie hätte alle CD’s dieser Band und es wundert mich nicht im Geringsten. Sie schneidet und kratzt in ihrer Vergangenheit und ich sage es interessiert mich nicht.
Idiot.
Sie sagt: „Ich will nicht darüber reden.“ aber ich weis wie schwer es sein kann sich zu öffnen. Loszulassen. Vertrauen zu finden.
Wir sind Fremde die zum ersten Mal etwas unternehmen. Was habe ich erwartet?
Noch neun Minuten bis zum eintreffen der S-Bahn und eine halbe Ewigkeit um ein Bedürfnis zu unterdrücken. Oder eine Million quälender Schritte in die falsche Richtung. Zerstörte Träume fallen mir dabei ein. Das Gefühl etwas zu verlieren das sich verstohlen in dein Herz eingeschlichen hat.
Hinterhältig und ungefragt.
Selbstbestimmung und Freiheit des anderen fällt mir dazu ein. Das seltsame Spiel der Trauer ohne Grund oder das unerwartete aufkommen von Hoffnung ohne begreifbaren Zusammenhang. Illusionen.
Sie kauert neben mir, die Beine angewinkelt und in Jeans gehüllt und sagt: „Ja, vielleicht reden wir ein andermal.“ Sie sagt auch, wir hätten noch viel Zeit dazu. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.
Noch acht Minuten neben ihr, das sind nicht einmal zwei Songs.
Sie sitzt neben mir, den Kopf Seitlich an der Schulter liegend und knabbert an einem Cracker rum. Ein paar feuchter Strähnen fallen ihr im leichten Korkenzieherlook ins Gesicht und sie sagt: „Die Dinger sind lecka.“ Sie sagt tatsächlich „lecka.“ nicht „lecker“. Ich sag auch „lecka“, aber bei mir hört sich das nicht so köstlich an.
Mann!
Bevor ich meinen Verstand nun restlos an die leckaren Cracker verliere, konzentriere ich mich internetterweise auf den Fahrplan und sag einfach, das ich jetzt wohl gehen müsste. Ich sag: „Ich denk, ich sollte jetzt wohl schön langsam …“
Noch sieben Minuten und sie sagt: „Ich komme mit.“ Worauf ich so: „Nee, brauchst du wirklich nicht.“ Und sie wieder: „Doch, doch … kein Problem.“ und ich natürlich wieder: „Muss echt nicht … bist dir sicher?“ und Sie darauf ….
Noch fünf Minuten und der Regen hat etwas nachgelassen. In den meisten Wohnungen der Siedlung durch die wir uns schlängeln sind die Lichter erloschen und die Nacht hängt wie ein feuchtkaltes Handtuch an unseren Körpern. Irgendwo bellt ein Hund. Die Luft schmeckt wie frisch gewaschen und irgendwas in meinem Brustkorb spielt völlig verrückt.
Etwas Neues. Längst vergessenes.
Nicht der übliche Druck der mir den Atem nimmt. Ich zittere nicht als würde ein Erdbeben in mir toben. Stärke neun auf der nach oben offenen Verzweiflungsskala. Auch nicht diese Hoffnungslosigkeit die mich ab und an befällt. Diese Leere. Nicht das Bedürfnis alles Hinschmeißen zu wollen.
Und plötzlich begreife ich was ich soeben fühle, kann es kaum glauben.
Wie hat sie das geschafft?
Wir schleichen langsam den Bahnhof entlang, biegen in die Unterführung um auf die andere Seite zu kommen und ich will es ihr sagen. Die Zeit verfliegt. Ich möchte ihre Hände halten und ihr in die Augen sehen. Diesen Moment mit ihr Teilen. Sehe diesen Scheiß Zug.
Mir fehlen die Worte um zu beschreiben was ich ihr sagen will. Die Zeit und all das. Wir stehen am Bahnsteig unter dem surrenden Licht der Leuchtstofflampen und der letzte Zug fährt ein.
Ein Königreich für ein paar Minuten mehr.
Um ihr klarzumachen was ich fühle.
Ich will nach ihren Händen greifen, sie umarmen und fest an mich drücken. In meinem gesamten Körper brodelt ein Biodopamindorphinalin Deodorant, eine Mixtur die mich wahnsinnig werden lässt. Mich zu ihr hinzieht, als ginge von ihr das Erdmagnetfeld aus. Kann ihr kaum widerstehen. Fühlt sie dasselbe wie ich?
An was denkt sie?
Ich kämpfe gegen den Schmerz des Abschieds, gegen die Zeit und der Zug fährt ein. Stoppt kurz vor uns. Ich will meine Hände in die ihren legen und in Augen sehen, in denen sich der Himmel spiegelt. Sie berühren. Ihr diese kleine Haarsträhne hinters Ohr klemmen, und ihr dabei wie unabsichtlich über ihre Wange streichen.
Nichts mehr als das, aber auch nicht weniger.
Wir stehen am Bahnsteig unter orange flackernden Licht, der Regen hat nachgelassen und ich quäle mich mit dem Gedanken, ob ich sie küssen sollte. Ob es alles zerstören würde. Den wunderbarsten Abend seit Jahrmillionen und all das. Zerstören von Freundschaft fällt mir dabei ein. Abschied für immer. Ein leerer Platz im Bus und Ignoranz.
Der nass spiegelnde Zug kauert auf den Schienen vor uns aber eigentlich ist er mir Scheißegal. Sehe nur sie. Ich möchte ihr so viel sagen, so viel erklären und ihre Blicke schweifen wieder und wieder zum Zug. Wir schweigen.
Na los, küss sie. Nur nicht.
Mach keinen Scheiß. Küss sie.
Nur nicht.
Ihr schweigen und ich.
Sehe auf den haltlosen Boden.
Zu ihr.
Kann sie nicht aus den Augen lassen.
Küss sie.
Nur nicht.
Der letzte Rest des Abends.
Der nächste Schritt.
Zu viele Gedanken schalten.
Mein Gehirn auf stand by.
Die letzten Sekunden eines wunderbaren Abends.
Na los, Küss sie.
Nur nicht.
Meine Hand plötzlich in ihren Haaren. Ich ziehe sie zu mir. Versuche sie zu küssen.
Sie sagt: „passt schon … tschüss“
Und ich hetze zum Zug. Lächelnd, weil der Schmerz ihrer Abweisung nicht mehr zulässt.
MinkaSternenklar - 18. Aug, 21:45

mit der vortellung daran...

du könntest diese geschichte genau so in wirklich erlebt haben,
kommen mir die tränen ... so schön ist das(mehr als das.)

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