Treffen (Part one)

Im Bus riecht es nach Vanille und Moschus, Aftersun, Hautlotions und Antipickelcremes. Nach Eyeliner, Haarspray und dem Babypudergeruch von Irgendwas. Nach Beinwachs und dem Gummibärenfurz hunderter Red Bulls. Die Luft steht. Flimmert getränkt vom Schweiß nasser Shirts, kochenden Wasserflaschen und dem stöhnen der Teenies. Möchtegern Divas. Selfmade Frauen aus der Retorte.
Ich bin unterwegs um mich mit einer Frau zu treffen. Einer echten.
Noch zehn Minuten. Oder drei Stopps.
Ich überlege, ob ich so tun soll als würde ich angestrengt ein Buch lesen. Ob ein überraschtes: „Oh, hi.“ oder doch lieber ein relaxtes: „Hallo. Na? Wie geht’s?“
Die Haare hinten zum Zopf zurren oder doch offen? Den Rücken an die Lehne kleben oder der vorbeirasenden Vegetation präsentieren? Diesen Scheiß Kaffs inmitten von Pisse getränkter Feldlandschaften die wir samt einer unaufhörlich um meinen Kopf kreisenden Fliege dröhnend durchkreuzen.
Noch neun Minuten und irgendwas in meinem Bauch zittert immer mehr.
Idiot.
Jeder pubertierende und Pickelgesichtige Teenager würde sich weniger Gedanken machen.
Der einhundertdreißiger schleppt sich randvoll mit Designerklamottenmodels in Faltenlosen Röcken über den keuchenden Asphalt. Glatte, verschwitzte Babyhaut. Makellos sonnengebräunte Schenkel. Blasrot lackierte Lippen auf denen sich winzige Wassertropfen spiegeln. Blonde Strähnen. Schwarze Strähnen. Braune Strähnen. Zu Zöpfen gebundener Einheitsbrei und dunkle Sonnenbrillen und Strohhüte und Baseballcaps und das schrillen der Klingeltöne und mir gehen die Worte aus.
Ich starre auf dunkelgrüne Baumwipfel und eingezäunte Felder und Rad fahrende Kinder und schlendernde Rentner und Wiederkäuende Kühe aber ich sehe nur dieses turtelnde Pärchen. Händchen haltend. Kichernd. Glücklich.
Neben mir unterhalten sich zwei Lippenpaare mit ihren Handys.
Noch acht Minuten.
Ich krame ein Buch aus meiner Tasche und schlage es auf. Meine Pupillen wandern über inhaltslose Buchstaben die sich zu Wörtern formieren. Die sich wiederum zu geistlosen Ungetümen türmen und sich in meine Gehirnzellen meißeln. Sich darin verlieren und zerstäuben. Endorphinzerstäuber. Ein gigantisches Dopamindeodorant das sich über meinen Verstand legt. Jemand sagt hallo und ich sehe sie an und sage nichts und betrachte weiter Absatz für Absatz.
Die Uhr seitlich über dem Fahrer digitalisiert ihren Countdown.
Noch sieben Minuten.
Wir halten und die Türen tauchen zischend in die trocken flirrende Luft irgendeines Dorfplatzes. Eine blondbraune Strähne stöckeln an mir vorbei die Treppen hinab und ich erfahre so, das diese oder jene Tussi doch eine Schlampe ist und mit diesem dreckigen Arschloch rumvögelt.
Verdammte Fotze sagt sie und lächelt mich dabei an.
Ich konzentriere mich wieder auf dieselbe Seite des Buches die ich gerade gelesen habe und erinnere mich daran, dass es kein Date ist. Das ist kein Date. Nur ein paar lächerliche Getränke. Gespräche unter Freunden. Weniger. Wir sind nicht einmal Freunde. Nur Bekannte. Weniger. Nur Individuen die sich täglich auf dem Weg zur Arbeit treffen. Fremde.
Weniger als das.
Wir haben nicht einmal dasselbe Geschlecht.
Sechs Minuten vor dem Treffen mit dieser fremdartigen Spezies setzt sich der Bus wieder in Bewegung. Die Türen noch geöffnet. Der heiße Fahrtwind verwirbelt bunte Strähnen und seltsame, beinahe vergessene Gedanken.
Eine Stimme hinter mir sagt: „Die ist doch nur Eifersüchtig.“
Eine zweite antwortet: „Miststück“ und in dem Buch steht ein seltsamer Satz.
Die Türen schließen sich und der Lärm des Gegenverkehrs verkommt zu einem unrhythmischen zischen und an meinem Hinterkopf vibriert das Glas der Fensterscheibe. Ich starre die kleinen schwarzen Punkte an der Decke an und versuche mich an all die guten Sätze zu erinnern die ich mir im Büro zurechtgelegt hatte. An all die Dinge die ich ihr erzählen möchte. An Gefühle und Träume und Vergangenheit und Zukunft und niemals diese leere Gegenwart. Das Glas an meinem Hinterkopf bedeutet Gegenwart und die einzige Empfindung dessen ich mir bewusst bin.
Noch fünf Minuten oder zwei Stopps und das ist nicht Liebe.
Das ist weniger als Freundschaft. Nur etwas mehr als einen Namen zu kennen. Was bedeutet das schon. Ich kenne Namen von Menschen denen ich noch niemals begegnet bin. Niemals begegnen werde. Marilyn Monroe und Elvis Presley fällt mir dabei ein. Kurt Cobain und Charly Chaplin. Würden sich meine Gedanken derart überschlagen wenn ich einen von ihnen treffen könnte? Mir Gedanken über meine Scheiß Frisur oder mein Shirt oder meine Hose oder meine Schuhe oder meinen Atem oder meine Darmfunktion machen?
Idiot.
Jeder Rentner würde dir sagen dass dies nichts bringt.
Kleine Staubpartikel tanzen in den Sonnenstrahlen die durch die Kabine preschen. Jemand hustet. Draußen staut sich der Verkehr. Metall an Metall in allen Farben reflektierend vor einem Kreisverkehr, aber der Bus hat Vorfahrt und schlängelt sich in leichter Schräglage durch dieses Hindernis. Die Klimaanlage surrt und schleudert einen kalten Schauer aus den spalten unter den Fenstern. Meine Zunge pappt wie eine Hostie an meinem Gaumen; Die Lippen zerfallen jede Sekunde zu Staub.
Noch vier Minuten und ich werde unfähig sein, auch nur einen Satz aus mir heraus zu pressen.
Weniger als das. Nicht ein Wort. Weniger als das. Nichts.
Oder mal andersrum: Was sind schon Worte wenn man ohnehin alles verschwitzt was man sagen wollte. Was ich sagen könnte.
Um mich interessant zu machen. Du weist schon.
Die Kiste mit seiner besten Seite. Dem verstecken der Wirklichkeit um seine Angst und Zweifel zu verbergen. Seiner Unsicherheit.
Das ist nicht Liebe, dass ist Betrug.
Betrug an sich selbst und vor allem dem anderen Gegenüber. Feigheit und Verlogenheit fällt mir dazu ein. Das aufsetzten einer Maske und Schauspielerei. Schallendes Gelächter im Marionettentheater der Biologie.
Die Stimme hinter mir sagt: „Sie kennen sich doch kaum. Was soll der Scheiß?“
Die zweite Stimme antwortet: „Miststück“ und ich lese schon wieder diesen seltsamen Satz.
Der Bus hält an der letzten Station bevor sie, sollte sie tatsächlich hier sein, einsteigen wird. Sich auf den leeren Platz neben mich sinken lässt. Ein kurzer Blick in Augen, in denen sich der Wolkenlose Himmel spiegelt, ehe sie mir erklären wird, sie hätte es sich anders überlegt. Oder ihre Katze dem plötzlichen Hitzetot zum Opfer gefallen sei. Ihre Schwester läge in den Wehen. Ihr Großvater heirate unerwartet in Las Vegas eine siebzehnjährige Stripperin. Ja ja, so etwas kommt öfter vor als man denkt. Passiert mir ständig.
Die Türen des Busses schleudern wieder in die drückende Hitze des späten Nachmittages und eine Handvoll bunter Strähnen und glitzernder Lippen und glatter Röcke und Sonnengebräunter Schenkel und klackender Absätze verlassen den Brutkasten meines Gedankenkinos und ich betrachte wieder diese seltsam zitternde Anhäufung von Buchstaben auf meinem Schoß.
Noch drei Minuten und ein altes Ehepaar steigt ein und ich schließe das Buch.
Starre durch Glas auf ein bisschen Grün das aus einem Spalt zwischen Straße und dem Randstein der Haltestelle sprießt. Auf glitzernde Scheiben einer zerbrochenen Bierflasche. Der Geruch von Sonnenöl und Chlor stolpert an mir vorbei als sich der Bus wieder stoßend in Bewegung setzt. Im Radio des Chauffeurs sagen sie, dass es am Abend schweres Wetter geben wird und ich durchforste den Himmel aber ich glaube der Stimme nicht.
Das alte Ehepaar flüstert in einer Sprache die ich nicht verstehe. Was heißt das schon? Ich verstehe so vieles nicht.
Der alte Mann sagt etwas, dass sich anhört wie: ja lubiä tschä. Was immer das bedeuten mag.
Nichts mehr als ein Ausdruck. Weniger als das.
Die Stimme hinter mir sagt: Manchmal wünsche ich mir, ich würde es verstehen.
Die zweite Stimme antwortet: „Das wirst du wohl nie.“ und ich stopfe das Buch zurück in meine Tasche. Strecke mein Shirt glatt. Streif mir die Haare aus der schweißnassen Stirn. Versuche etwas meine Kehle hinab zu pressen. Worte zu finden. Für all das was ich gerne sagen würde. Worte, die in keiner Sprache dieses Planeten zu finden sind.
Das ist nicht Liebe, das ist Idiotie.
Nichts mehr als eine Fremde. Eine andere Spezies. Ein anderes Geschlecht. Nichts mehr als die Wirklichkeit. Nichts mehr als eine Einbildung.
Der Bus schert aus, verlässt die letzte Möglichkeit zur Flucht.
Noch zwei Minuten oder hundertzwanzig Sekunden im hundertdreißiger.
Irgendwo schrillt ein Handy. Die Klimaanlage zeigt Wirkung und aus Moschus und Vanille wurde steriles nichts. Ich wende mich kurz um, aber hinter mir sitzt niemand.
Weniger als nichts.
Das sollte mich eigentlich beunruhigen, merke aber im selben Augenblick, dass mir die Zeit dazu fehlt. Und der Verstand und die Logik und all das.
Reiß dich zusammen. Was soll der Scheiß?
Noch sechzig Sekunden und ich beobachte meine Atmung.
Den Hinterkopf auf vibrierendem Glas. Ich rede mir ein, dass sie mir nicht sonderlich gefällt. Nicht ihre Haare, nicht ihre Augen, nicht ihre Ohren, nicht ihr Mund, nicht ihre Lippen. Nicht ihr piercing durch die Augenbraue. Ich stelle sie mir als humorloses Monster vor. Als willenloses Designerklamottenmodel mit perfekter bräune und glitzerndem Lippenstift. Als kleines Dummerchen. Diese uninteressante Kuh. Ich bilde mir ein, ihre Figur sei nur eine weitere Einbildung eines täglich viel zu frühen morgens. Sie hat keinen Style, keine Ausstrahlung, keinen Glanz, denke ich mir. Ich denke an Arroganz und rede mir ein, solche wie sie gibt es wie Sand am Meer. Sterne am Himmel. Sekunden in der Ewigkeit einer Unendlichkeit.
Das ist nicht Liebe, das ist Wahnsinn.
Noch dreißig Sekunden und ich kann die verrottete Holzhütte erkennen vor der sie telefoniert.
Eine Frau, die mich so kalt lässt als wäre sie ein Fahrgast wie jeder andere auch. Die mich nicht innerlich zerfetzt. In Vernunft und Gefühl, Erfahrung und Willenlosigkeit. Rationalem Denken und instinktiven Handeln. Hoffnung und Wissen. Träume und Realität.
Der schallende Beifall im Theater der Biologie.
Danke, vielen – verschissenen – Dank!
Ich überlege, ob ich so tun soll als würde ich angestrengt ein Buch lesen. Ob ein überraschtes: „Oh, hi.“ oder doch ein relaxtes: „Hallo. Na? Wie geht’s?“
Das Buch steckt in der Tasche, die Worte übersprüht mit Biodeodorants, und ich rede mir ein das ich dieses kribbeln nicht fühle. Ich überlege, wie ich mein zittern verbergen könnte. Meine Unsicherheit. Meine Fehler. Makel. Zerrissenheit. Unvollkommenheit. Dummheit. Meinen schlaksigen Körper. Meine Seele. Die andauernden Gedanken.
Als sich die Türen öffnen und sie sich neben mich setzt, ein kurzes lächeln, das Telefon am Ohr, weis ich, dass ich das alles nicht muss.
Denn die Welt ist plötzlich so wie sie sein sollte.
Ungelogen.
Ich fühle mich einfach gut.

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