Treffen (Part two)
Der Bus fährt weiter, und obwohl sie nun neben mir sitzt, oder vielleicht gerade deswegen, verfalle ich in eine unglaubliche Gelassenheit. Lasse mich treiben von dem Klang ihrer Stimme und vergesse alles um mich herum. Selbst der Mehrtonner der normalerweise auf meiner Brust parkt um mich am Atmen zu hindern, begreift die Situation. Hat Mitleid mit mir und sucht sich ein neues Opfer.
Sie telefoniert mit irgendjemandem.
Streift sich einen Haarstrang hinters Ohr. Ich kann nicht anders als sie dabei zu beobachten. Versuche es nicht zu zeigen und konzentriere mich auf irgendwas. Auf den hellen Farbton der Berge im Hintergrund. Den Rhythmus der vom Fahrtwind wankenden Bäume am Straßenrand. Den Takt der wenigen vorbei fliegenden Häuser. Das Harmonische Zusammenspiel ihrer Stimme mit dem abflauen meiner Zweifel.
Das ist nicht Liebe, das ist Melodie.
Mehr als das.
Es ist das Zusammenwirken von höhen und tiefen durch die du durch musst. Es ist die Ohnmacht die dich befällt wenn du begreifst, dass alles nur ein beschissenes Spiel ist. Du wirst nichts ändern können, weder an deinen noch an ihren Gefühlen. Es ist die Gewissheit, dass du dich nur so geben kannst wie du nun mal bist. Mit all deinen schwächen und stärken. Mit all deinen Fehlern. Du hast es immer gewusst, nur beim betreten des Marionettentheaters, kurz nachdem du es zum ersten mal wieder gesehen hast, nach all den Jahren, wenn du endlich wieder ein Ticket löst, dann vergisst du das alles. Dann bist du der laufende und keuchende Biospielplatz des Lebens.
Du reduzierst dich auf das wesendliche.
Sie sagt: „Hallo“ und der Bus schlängelt sich durch die beginnende Stadt, durch schwitzende Biomasse und es mir alles egal. Wir reden drauf los, über den Tag, das Wetter, dies und das und es ich lege alles ab. Kann seit Ewigkeiten wieder loslassen.
Als der Platz neben mir noch leer war, dehnten sich die Minuten wie Kaugummi und ließen meine Gedanken kollabieren. Jetzt steigen wir aus. Die Stationen schleuderten unbemerkt vorbei, vereinzelte Häusergruppen formierten sich zur Stadt, aus Rad fahrenden Kindern wurden Skatende Kids, Wiederkäuende Kühe verwandelten sich zu leeren Recycling Müll, und aus stillen Gedanken wurde ein belebtes Gespräch. Es ist trocken sonnig und in der Luft hängt der staubige Lärm der Stadt. Wir schlendern an Schaufenstern vorbei und rätseln, ob an unserem Ziel wohl noch ein gemütliches Plätzchen frei sei. Mir ist alles recht. Alles was wir unternehmen würden wäre okay. Ein gemütliches Plätzchen ist überall. Selbst am langweiligen Beton einer Straßenkreuzung, den Rücken an Mülltonnen gelehnt, im Mund ein tropfendes Eis oder nichts ausgenommen unsere Stimmen.
Das ist nicht Liebe, das ist Interesse.
Mehr als das.
Wir haben nicht einmal dasselbe Geschlecht.
Mehr als das. Gespräche unter Fremden. Individuen die sich erstmals nach der Arbeit treffen. Mehr. Die Chance auf Freundschaft.
Wir entscheiden uns dafür, den Überblick zu behalten. Die Aussicht zu genießen. Den Lift zu nehmen der auf die Dachterrasse des Kaffees führt.
Der Kellner sagt: „Zur Terrasse? Den rechten Lift, siebenter Stock.“
Interesse bedeutet auch, sich im selben Augenblick lächelnd zu fragen, warum es wohl so verdammt wichtig sei den rechten Lift zu nehmen. Führt den der linke nur in den Keller? In geheime Katakomben? Ein illegales Drogenlabor für die Angestellten? Zum streng behüteten Rezept der Haustorte?
Ich will es wissen.
Alles. Ihre Vergangenheit, Träume, Ziele, Wünsche, Hoffnungen. Ihre Ängste und diesen Schmerz der tief in ihr zu kauern scheint. Den sie so entschlossen zu verbergen versucht. Wunderschön lächelnd. Mit strahlenden Augen in denen sich der Himmel spiegelt. Ich kann mich auch blenden lassen. Täuschen.
Was heißt es schon selbst einmal von diesem Gefühl befreit zu sein? Diesem Druck. Frei zu sein bedeutet nicht, das Gefängnis eines anderen zu sehen. Es bedeutet aber auch nicht, den Ausbruch zu schaffen und das Leid der anderen damit zu vergessen. Nicht für einen Tag. Nicht für ein Leben.
Nach kurzem Gedankenaustausch entscheiden wir uns für den Ecktisch direkt an der steinernen Brüstung, die Grenze zur sieben Stockwerke tiefer und träge gurgelnden Salzach. Den spiegelnden Kupferdächern der Altstadt. Funkelnde, und im Schatten der Festung liegenden Mauern und Kuppeln des Domes. Dem flirrenden Gipfel des Untersberges und der sich darüber erstreckenden Unendlichkeit des Himmels. Streifenlos blau. Unglaublich frei.
Wir legen unsere Taschen ab. Setzen uns. Ich würde gerne erzählen, dass wir uns in diesem Moment die Augen sahen und uns dabei verliebten. Das ist es aber nicht.
Das ist nicht Liebe, das ist ein Augenblick.
Mehr als das.
Wir rücken uns die Stühle zurecht, gegenüber sitzend, blicken in den Tag und betrachten die Speisekarte als stünde darin die Lösung aller Probleme dieses Planeten. Reden über die herrliche Aussicht, das Wetter und Wespenstichallergien. Über Sonneneinstrahlung, Selbstmordvarianten und deren harte Landungen auf Autos oder Bussen. Übers schreiben und verschwitzte Kellner und bestellen ein kleines Bier. Wir plaudern drauf los. Unterhalten uns über Höhenangst und schmale Felsgrade. Die Möglichkeit einer ausgiebigen Bergtour und die Wucht von Gewittern.
An was denkt sie?
Die Luft ist erfüllt vom Aroma eines Gemisches aus frischem Kaffee und verbrauchten Verkehrsdröhnen. Dem leisen klopfen hektischer Absätze und unverständlichen Sprachfetzen. Der kurzen Klage eines Einsatzwagens.
Wir reden über Felsstürze und Sonnenterrassen an gegenüberliegenden Steinwänden, über Skype, ICQ und Abendunterhaltung. Wir wechseln den Tisch. Tauschen Sonne gegen Schirmschatten. Mir ist alles recht. Ein gemütliches Plätzchen ist überall.
Ein Berufslächler in einem weißen Hemd nimmt unsere goldgelben Getränke von seinem Tablett und stellt sie vor uns auf den Tisch. Wir lächeln zurück, prosten uns zu.
Lehne mich zurück und genieße den kalten Geschmack von Hopfen und Malz und kann es kaum glauben wie frei ich mich fühle. Keine Spur von den mich ständig marternden Gedanken und Phantasien, diesen unkontrollierten Drang sich ständig über etwas den Kopf zerbrechen zu müssen. Selbst der Geschichtenerzähler in mir schweigt. Genießt. Die Pause auf der Suche nach Erfüllung, Sinn und Freiheit des Lebens. Fort sind meine Zweifel und Ängste, meine innerliche Zerrissenheit und das Gefühl den Verstand zu verlieren. Keine Spur von der tagtäglichen Unterdrückung deines Ichs, deiner Seele, und der wohl tatsächlichen Andersartigkeit. Dem verstecken deiner Natur bis es schmerzt, nur um dem beschissenen Zwang zu folgen, dazu zu gehören. Zur anerzogenen Normalität.
Sie sagt: „Bilde ich mir das ein oder sind die Menschen hier alle … weis nicht … eleganter, nein … nobler gekleidet als wir. Passen wir hier rein?“
Ich schmunzle sie an und sag: „Weis nicht, doch Scheißegal.“
Man sagt doch, dass sich Gegenteile anziehen. Die Sache mit den Magneten. Man sagt, alles nimmt seinen lauf. Bienen und Blumen, Ebbe und Flut und so. Auch wenn in diesem Fall ich das tiefe Meer und sie der helle Mond zu sein scheint. Sie zieht mich an, nicht umgekehrt. Sie raucht nicht. Ich zünde mir eine an. Sie kocht ohne Fleisch und ich habe Lust auf Spareribs.
Ich versuche ihr in die Augen zu sehen, und sie fragt, wie man wohl den Berg dort drüben nennt. Es heißt, man könne sich von Luft und Liebe ernähren. Ich Atme frei und hoffe, der Abend würde niemals enden. Ein klein wenig Hunger habe ich dennoch.
Wir beschließen, durch die abkühlende Stadt zu schlendern und an einem Eis rum zu schlecken.
Das ist nicht Liebe, das ist einfach nur Freiheit.
Ich würde ihr gerne erzählen wie ich die Welt sehe, durch sie hindurch schleudere. Fasziniert von so vielen.
Von ihr. Ich möchte einfach nur ihre Hand halten. Nicht mehr. In ihre Augen sehen. Nicht mehr. Ich weis nicht warum das so ist. Lebe einfach Instinktiv.
Will ständig mehr. Mehr. Mehr. Mehr.
Ich liebe das Leben und hasse es zur selben Zeit. Schlängle mich hindurch und sauge es auf. Jedes Gefühl, jede Empfindung. Unfähig abzuschalten. Ich möchte ihr sagen dass die Welt zu Atmen aufhört wenn sie in meiner Nähe ist. Die Zeit still steht.
Idiot.
Das ist nicht Liebe, das ist Folter.
Mehr als das.
Das ist die enge des abgedunkelten Treppenhauses. Wir gehen zu Fuß. Nehmen nicht den Lift. Vorbei an drei Buddhas die mich in meditativer Haltung hockend, mit Nikotingelben Teint und Steinernen Augen anglotzen als wäre ich die Wiedergeburt Casanovas, wie wenn ich nur darauf aus sei, sie ins Bett zu kriegen.
Du willst sie doch nur in der Kiste, sagen die Augen des Skeptikers, und ich sag: „Lügner“
Ich sag: „Nicht nur.“ Und das es nebensächlich sei. Das es wunderschön wäre, aber nicht bedeutend. Das alles andere Heuchelei wäre. Selbstbetrug der letzte Luxus den ich mir jetzt leisten werde. Dazu ist der Moment zu fassbar. Zu real.
Der Mittlere der dreien, die Versuchung, starrt mich an, als hätte er all die Jahre nur damit verbracht auf uns zu warten. Den Kopf hoch erhoben, unscheinbar grinsend, hinterhältig, und mit dem Wissen der Jahrtausende. Gespeichert in Steinerner Mine. Ausgeleuchtet in dotterweichem Licht, durchbohrt sein Blick meinen Willen und ich kämpfe. Ich kämpfe dagegen an, ihre Hand zu nehmen, meine Finger in ihre zu legen, zärtlich zu verzahnen. Ich kämpfe dagegen an, einen Fehler zu machen. Kämpfe gegen die Wahrscheinlichkeit, dass es richtig wäre. Sie es auch möchte.
Die Versuchung lockt. Wie einfach und abgedroschen das doch klingt. Wie schwer jedoch, ihrem, seinem grinsen zu widerstehen. In diesem Licht ist sie mehr als nur eine Fremde.
Wir haben nicht einmal dasselbe Geschlecht.
Nur zwei Fremde, die im schummrigen Licht einer Hotellobby stehen. Buddhas betrachten. Figuren, irgendwann aus irgendeinem Felsen gehauen. Eingerahmt vom typischen Zitronensäuregeruch und dem sterilen Teppichreinigerdunst öffentlicher Stiegenhäuser. Dem durch die Stockwerke rasendem flüstern eintreffender Gäste.
Die dritte Statue, die Vernunft, hämmert ihren Blick direkt in mein Gehirn und schreit: „Na los, verschwinde von hier. Mach dass du raus kommst. Las es!“
Das ist keineswegs Liebe, das ist Flucht.
Mehr als das.
Wir wurzeln plötzlich im Schatten des vorbeidröhnenden Verkehrschaos, dem leisen ticken und surren einer Fußgängerampel, dem sachte aufkommenden Wind der von fernen Bergen durch die Stadt wirbelt und mich die Welt wieder etwas wirklicher betrachten lässt. Die Sonne glotzt immer tiefer gelegen auf uns herab. Versteckt sich immer öfter hinter Dächern und Felswänden und lässt auf der Oberfläche des Flusses Millionen reflektierende Spiegel tanzen.
Sie sagt: „Kühler ist es jetzt schon.“
Wir schlendern über die Brücke und ich bring nichts mehr, als ein trocken unterdrücktes ja. Unterqueren die Kreuzung. Jagen durch den Betongrauen Pissegestank vergangener Nächte. Rauf, rauf die Treppe.
Wieder im weichen Licht der untergehenden Sonne, gefangen in den harten Schatten der Altstadthäuser, überfällt mich erneut eine tiefe Gelassenheit. Endlich. Ein kurzes lächeln von ihr befreit mich. Wie schafft sie das nur?
Sie kennt da so eine Eisdiele, sagt sie und wir promenieren dort hin. Bummeln vorbei an schreienden Schaufenstern und fotografierenden Japanern. Den Fastfood Leibern hechelnder Amerikaner. Den Blumenartigen Schweißflecken an deutschen Hemden. Durch das aufgeregte Gewühl einer Urlaubenden Horde. Fiebernden Sightseeingtouren.
Knallen rein in die drückende enge einer kochenden Seitengasse, stockend, stauend, drängelnd. Internationale Touristen Rush Hour.
Mir ist alles Recht. Ein schönes Plätzchen ist dort, wo sie neben mir Ironiesch grinst. Ihr Geheimnis versteckt. Ein schönes Plätzchen ist der nächste Schritt, die nächste Sekunde.
Die nächste Sekunde der nächste Schritt.
Ich versuche ihr in die Augen zu sehen und sie fragt, ob mir Schokolade – Chili Eis schmecken würde. Das sie hier schon vor einer längeren Schlange angestanden sei. Sie selbst bezahlen würde. Das das Eis lecker schmeckte als sie zum letzten mal mit Gott weiß wem hier war. Ich werde mich nicht mit dem Gedanken herumschlagen wer es wohl gewesen ist. Ein Mann? Eine Freundin?
Die Jedermann Tribüne ist leer und abgesperrt und ich überlege, ob ich sie wohl dazu überreden könnte auf einen der leeren Sitze platz zu nehmen um den Dom anzusehen. Dem Straßenmusiker auf seinem Digeridoo aus Termitenzerfressenem Eukalyptus, Bambus oder Australischem Jackfruit zuzuhören. Ich schlecke an Marzipan und Banane. Sie knabbert an einer mit Joghurteis gefüllten Waffel während wir für ein paar Augenblicke verharren und dem dumpfen, sattem Widerhall zu lauschen, der sich über den Platz legt wie eine schwere Decke.
Die plötzliche Stille zwingt uns zum weitergehen. Tauchen ein in das aufgeregte Treiben eines wuselnden Marktes. In den süßlichen Geschmack von Zuckerwatte und dem Geruch frischer Schnitzereien. Holzspielzeug und Jausenbretter. Ketten und Steinen in allen Farben.
Irgendwo schleppt sich eine Pferdekutsche klappernd über den Abendlichen Steinboden. Schachspieler sitzen konzentriert in den länger werdenden Schatten.
Turm schlägt Läufer.
Wir setzten uns auf einen der Stühle vor der großen Leinwand. Festspielübertragung live. Vor uns thront die Festung erhaben in den Himmel, neben mir eine Fremde.
Springer nähert sich einer Königin von rechts.
Das ist nicht Liebe, das ist ein Spiel.
Weit mehr als das.
Ich fühle mich so gut wie seit Jahren nicht mehr, aber ich bin kein guter Spieler und spiele ein Spiel das sich Freiheit nennt. Höre ihr zu und kann selbst reden. Die Worte rollen aus mir heraus als wären sie schon immer dazu bestimmt gewesen. Es ist Schwachsinn und zusammenhangloses Zeug. Witz und unverständliches. Trostloses aber ehrliches. Unzensiertes. Wahres. Und es fühlt sich verdammt gut an.
Wir lachen, scherzen, schmunzeln, schweigen, genießen und beschließen wie selbstverständlich noch etwas zu bleiben. Beobachten die Aufregung dort in unserer Welt. Das Wirrwarr der Stimmen, lauschen dem dröhnen aus Carmina burana von unsichtbaren Lautsprechern. Festspielklamauk live und ungeschminkt.
Applaus im Marionettentheater der Biologie.
Sie sitzt so nahe an mir, dass ich beinahe die wärme fühlen kann die von ihrem Körper ausgeht und kann sie dennoch nicht berühren. Nicht erreichen. Nicht in ihr innerstes vordringen.
An was denkt sie?
In ihren Augen spiegelt sich der Himmel und sie sagt: „Las uns von hier verschwinden.“ Und ich sag einfach nur: „Okay!“ und: „Ein schönes Plätzchen ist überall.“
Du reduzierst dich auf das wesentliche.
Sie telefoniert mit irgendjemandem.
Streift sich einen Haarstrang hinters Ohr. Ich kann nicht anders als sie dabei zu beobachten. Versuche es nicht zu zeigen und konzentriere mich auf irgendwas. Auf den hellen Farbton der Berge im Hintergrund. Den Rhythmus der vom Fahrtwind wankenden Bäume am Straßenrand. Den Takt der wenigen vorbei fliegenden Häuser. Das Harmonische Zusammenspiel ihrer Stimme mit dem abflauen meiner Zweifel.
Das ist nicht Liebe, das ist Melodie.
Mehr als das.
Es ist das Zusammenwirken von höhen und tiefen durch die du durch musst. Es ist die Ohnmacht die dich befällt wenn du begreifst, dass alles nur ein beschissenes Spiel ist. Du wirst nichts ändern können, weder an deinen noch an ihren Gefühlen. Es ist die Gewissheit, dass du dich nur so geben kannst wie du nun mal bist. Mit all deinen schwächen und stärken. Mit all deinen Fehlern. Du hast es immer gewusst, nur beim betreten des Marionettentheaters, kurz nachdem du es zum ersten mal wieder gesehen hast, nach all den Jahren, wenn du endlich wieder ein Ticket löst, dann vergisst du das alles. Dann bist du der laufende und keuchende Biospielplatz des Lebens.
Du reduzierst dich auf das wesendliche.
Sie sagt: „Hallo“ und der Bus schlängelt sich durch die beginnende Stadt, durch schwitzende Biomasse und es mir alles egal. Wir reden drauf los, über den Tag, das Wetter, dies und das und es ich lege alles ab. Kann seit Ewigkeiten wieder loslassen.
Als der Platz neben mir noch leer war, dehnten sich die Minuten wie Kaugummi und ließen meine Gedanken kollabieren. Jetzt steigen wir aus. Die Stationen schleuderten unbemerkt vorbei, vereinzelte Häusergruppen formierten sich zur Stadt, aus Rad fahrenden Kindern wurden Skatende Kids, Wiederkäuende Kühe verwandelten sich zu leeren Recycling Müll, und aus stillen Gedanken wurde ein belebtes Gespräch. Es ist trocken sonnig und in der Luft hängt der staubige Lärm der Stadt. Wir schlendern an Schaufenstern vorbei und rätseln, ob an unserem Ziel wohl noch ein gemütliches Plätzchen frei sei. Mir ist alles recht. Alles was wir unternehmen würden wäre okay. Ein gemütliches Plätzchen ist überall. Selbst am langweiligen Beton einer Straßenkreuzung, den Rücken an Mülltonnen gelehnt, im Mund ein tropfendes Eis oder nichts ausgenommen unsere Stimmen.
Das ist nicht Liebe, das ist Interesse.
Mehr als das.
Wir haben nicht einmal dasselbe Geschlecht.
Mehr als das. Gespräche unter Fremden. Individuen die sich erstmals nach der Arbeit treffen. Mehr. Die Chance auf Freundschaft.
Wir entscheiden uns dafür, den Überblick zu behalten. Die Aussicht zu genießen. Den Lift zu nehmen der auf die Dachterrasse des Kaffees führt.
Der Kellner sagt: „Zur Terrasse? Den rechten Lift, siebenter Stock.“
Interesse bedeutet auch, sich im selben Augenblick lächelnd zu fragen, warum es wohl so verdammt wichtig sei den rechten Lift zu nehmen. Führt den der linke nur in den Keller? In geheime Katakomben? Ein illegales Drogenlabor für die Angestellten? Zum streng behüteten Rezept der Haustorte?
Ich will es wissen.
Alles. Ihre Vergangenheit, Träume, Ziele, Wünsche, Hoffnungen. Ihre Ängste und diesen Schmerz der tief in ihr zu kauern scheint. Den sie so entschlossen zu verbergen versucht. Wunderschön lächelnd. Mit strahlenden Augen in denen sich der Himmel spiegelt. Ich kann mich auch blenden lassen. Täuschen.
Was heißt es schon selbst einmal von diesem Gefühl befreit zu sein? Diesem Druck. Frei zu sein bedeutet nicht, das Gefängnis eines anderen zu sehen. Es bedeutet aber auch nicht, den Ausbruch zu schaffen und das Leid der anderen damit zu vergessen. Nicht für einen Tag. Nicht für ein Leben.
Nach kurzem Gedankenaustausch entscheiden wir uns für den Ecktisch direkt an der steinernen Brüstung, die Grenze zur sieben Stockwerke tiefer und träge gurgelnden Salzach. Den spiegelnden Kupferdächern der Altstadt. Funkelnde, und im Schatten der Festung liegenden Mauern und Kuppeln des Domes. Dem flirrenden Gipfel des Untersberges und der sich darüber erstreckenden Unendlichkeit des Himmels. Streifenlos blau. Unglaublich frei.
Wir legen unsere Taschen ab. Setzen uns. Ich würde gerne erzählen, dass wir uns in diesem Moment die Augen sahen und uns dabei verliebten. Das ist es aber nicht.
Das ist nicht Liebe, das ist ein Augenblick.
Mehr als das.
Wir rücken uns die Stühle zurecht, gegenüber sitzend, blicken in den Tag und betrachten die Speisekarte als stünde darin die Lösung aller Probleme dieses Planeten. Reden über die herrliche Aussicht, das Wetter und Wespenstichallergien. Über Sonneneinstrahlung, Selbstmordvarianten und deren harte Landungen auf Autos oder Bussen. Übers schreiben und verschwitzte Kellner und bestellen ein kleines Bier. Wir plaudern drauf los. Unterhalten uns über Höhenangst und schmale Felsgrade. Die Möglichkeit einer ausgiebigen Bergtour und die Wucht von Gewittern.
An was denkt sie?
Die Luft ist erfüllt vom Aroma eines Gemisches aus frischem Kaffee und verbrauchten Verkehrsdröhnen. Dem leisen klopfen hektischer Absätze und unverständlichen Sprachfetzen. Der kurzen Klage eines Einsatzwagens.
Wir reden über Felsstürze und Sonnenterrassen an gegenüberliegenden Steinwänden, über Skype, ICQ und Abendunterhaltung. Wir wechseln den Tisch. Tauschen Sonne gegen Schirmschatten. Mir ist alles recht. Ein gemütliches Plätzchen ist überall.
Ein Berufslächler in einem weißen Hemd nimmt unsere goldgelben Getränke von seinem Tablett und stellt sie vor uns auf den Tisch. Wir lächeln zurück, prosten uns zu.
Lehne mich zurück und genieße den kalten Geschmack von Hopfen und Malz und kann es kaum glauben wie frei ich mich fühle. Keine Spur von den mich ständig marternden Gedanken und Phantasien, diesen unkontrollierten Drang sich ständig über etwas den Kopf zerbrechen zu müssen. Selbst der Geschichtenerzähler in mir schweigt. Genießt. Die Pause auf der Suche nach Erfüllung, Sinn und Freiheit des Lebens. Fort sind meine Zweifel und Ängste, meine innerliche Zerrissenheit und das Gefühl den Verstand zu verlieren. Keine Spur von der tagtäglichen Unterdrückung deines Ichs, deiner Seele, und der wohl tatsächlichen Andersartigkeit. Dem verstecken deiner Natur bis es schmerzt, nur um dem beschissenen Zwang zu folgen, dazu zu gehören. Zur anerzogenen Normalität.
Sie sagt: „Bilde ich mir das ein oder sind die Menschen hier alle … weis nicht … eleganter, nein … nobler gekleidet als wir. Passen wir hier rein?“
Ich schmunzle sie an und sag: „Weis nicht, doch Scheißegal.“
Man sagt doch, dass sich Gegenteile anziehen. Die Sache mit den Magneten. Man sagt, alles nimmt seinen lauf. Bienen und Blumen, Ebbe und Flut und so. Auch wenn in diesem Fall ich das tiefe Meer und sie der helle Mond zu sein scheint. Sie zieht mich an, nicht umgekehrt. Sie raucht nicht. Ich zünde mir eine an. Sie kocht ohne Fleisch und ich habe Lust auf Spareribs.
Ich versuche ihr in die Augen zu sehen, und sie fragt, wie man wohl den Berg dort drüben nennt. Es heißt, man könne sich von Luft und Liebe ernähren. Ich Atme frei und hoffe, der Abend würde niemals enden. Ein klein wenig Hunger habe ich dennoch.
Wir beschließen, durch die abkühlende Stadt zu schlendern und an einem Eis rum zu schlecken.
Das ist nicht Liebe, das ist einfach nur Freiheit.
Ich würde ihr gerne erzählen wie ich die Welt sehe, durch sie hindurch schleudere. Fasziniert von so vielen.
Von ihr. Ich möchte einfach nur ihre Hand halten. Nicht mehr. In ihre Augen sehen. Nicht mehr. Ich weis nicht warum das so ist. Lebe einfach Instinktiv.
Will ständig mehr. Mehr. Mehr. Mehr.
Ich liebe das Leben und hasse es zur selben Zeit. Schlängle mich hindurch und sauge es auf. Jedes Gefühl, jede Empfindung. Unfähig abzuschalten. Ich möchte ihr sagen dass die Welt zu Atmen aufhört wenn sie in meiner Nähe ist. Die Zeit still steht.
Idiot.
Das ist nicht Liebe, das ist Folter.
Mehr als das.
Das ist die enge des abgedunkelten Treppenhauses. Wir gehen zu Fuß. Nehmen nicht den Lift. Vorbei an drei Buddhas die mich in meditativer Haltung hockend, mit Nikotingelben Teint und Steinernen Augen anglotzen als wäre ich die Wiedergeburt Casanovas, wie wenn ich nur darauf aus sei, sie ins Bett zu kriegen.
Du willst sie doch nur in der Kiste, sagen die Augen des Skeptikers, und ich sag: „Lügner“
Ich sag: „Nicht nur.“ Und das es nebensächlich sei. Das es wunderschön wäre, aber nicht bedeutend. Das alles andere Heuchelei wäre. Selbstbetrug der letzte Luxus den ich mir jetzt leisten werde. Dazu ist der Moment zu fassbar. Zu real.
Der Mittlere der dreien, die Versuchung, starrt mich an, als hätte er all die Jahre nur damit verbracht auf uns zu warten. Den Kopf hoch erhoben, unscheinbar grinsend, hinterhältig, und mit dem Wissen der Jahrtausende. Gespeichert in Steinerner Mine. Ausgeleuchtet in dotterweichem Licht, durchbohrt sein Blick meinen Willen und ich kämpfe. Ich kämpfe dagegen an, ihre Hand zu nehmen, meine Finger in ihre zu legen, zärtlich zu verzahnen. Ich kämpfe dagegen an, einen Fehler zu machen. Kämpfe gegen die Wahrscheinlichkeit, dass es richtig wäre. Sie es auch möchte.
Die Versuchung lockt. Wie einfach und abgedroschen das doch klingt. Wie schwer jedoch, ihrem, seinem grinsen zu widerstehen. In diesem Licht ist sie mehr als nur eine Fremde.
Wir haben nicht einmal dasselbe Geschlecht.
Nur zwei Fremde, die im schummrigen Licht einer Hotellobby stehen. Buddhas betrachten. Figuren, irgendwann aus irgendeinem Felsen gehauen. Eingerahmt vom typischen Zitronensäuregeruch und dem sterilen Teppichreinigerdunst öffentlicher Stiegenhäuser. Dem durch die Stockwerke rasendem flüstern eintreffender Gäste.
Die dritte Statue, die Vernunft, hämmert ihren Blick direkt in mein Gehirn und schreit: „Na los, verschwinde von hier. Mach dass du raus kommst. Las es!“
Das ist keineswegs Liebe, das ist Flucht.
Mehr als das.
Wir wurzeln plötzlich im Schatten des vorbeidröhnenden Verkehrschaos, dem leisen ticken und surren einer Fußgängerampel, dem sachte aufkommenden Wind der von fernen Bergen durch die Stadt wirbelt und mich die Welt wieder etwas wirklicher betrachten lässt. Die Sonne glotzt immer tiefer gelegen auf uns herab. Versteckt sich immer öfter hinter Dächern und Felswänden und lässt auf der Oberfläche des Flusses Millionen reflektierende Spiegel tanzen.
Sie sagt: „Kühler ist es jetzt schon.“
Wir schlendern über die Brücke und ich bring nichts mehr, als ein trocken unterdrücktes ja. Unterqueren die Kreuzung. Jagen durch den Betongrauen Pissegestank vergangener Nächte. Rauf, rauf die Treppe.
Wieder im weichen Licht der untergehenden Sonne, gefangen in den harten Schatten der Altstadthäuser, überfällt mich erneut eine tiefe Gelassenheit. Endlich. Ein kurzes lächeln von ihr befreit mich. Wie schafft sie das nur?
Sie kennt da so eine Eisdiele, sagt sie und wir promenieren dort hin. Bummeln vorbei an schreienden Schaufenstern und fotografierenden Japanern. Den Fastfood Leibern hechelnder Amerikaner. Den Blumenartigen Schweißflecken an deutschen Hemden. Durch das aufgeregte Gewühl einer Urlaubenden Horde. Fiebernden Sightseeingtouren.
Knallen rein in die drückende enge einer kochenden Seitengasse, stockend, stauend, drängelnd. Internationale Touristen Rush Hour.
Mir ist alles Recht. Ein schönes Plätzchen ist dort, wo sie neben mir Ironiesch grinst. Ihr Geheimnis versteckt. Ein schönes Plätzchen ist der nächste Schritt, die nächste Sekunde.
Die nächste Sekunde der nächste Schritt.
Ich versuche ihr in die Augen zu sehen und sie fragt, ob mir Schokolade – Chili Eis schmecken würde. Das sie hier schon vor einer längeren Schlange angestanden sei. Sie selbst bezahlen würde. Das das Eis lecker schmeckte als sie zum letzten mal mit Gott weiß wem hier war. Ich werde mich nicht mit dem Gedanken herumschlagen wer es wohl gewesen ist. Ein Mann? Eine Freundin?
Die Jedermann Tribüne ist leer und abgesperrt und ich überlege, ob ich sie wohl dazu überreden könnte auf einen der leeren Sitze platz zu nehmen um den Dom anzusehen. Dem Straßenmusiker auf seinem Digeridoo aus Termitenzerfressenem Eukalyptus, Bambus oder Australischem Jackfruit zuzuhören. Ich schlecke an Marzipan und Banane. Sie knabbert an einer mit Joghurteis gefüllten Waffel während wir für ein paar Augenblicke verharren und dem dumpfen, sattem Widerhall zu lauschen, der sich über den Platz legt wie eine schwere Decke.
Die plötzliche Stille zwingt uns zum weitergehen. Tauchen ein in das aufgeregte Treiben eines wuselnden Marktes. In den süßlichen Geschmack von Zuckerwatte und dem Geruch frischer Schnitzereien. Holzspielzeug und Jausenbretter. Ketten und Steinen in allen Farben.
Irgendwo schleppt sich eine Pferdekutsche klappernd über den Abendlichen Steinboden. Schachspieler sitzen konzentriert in den länger werdenden Schatten.
Turm schlägt Läufer.
Wir setzten uns auf einen der Stühle vor der großen Leinwand. Festspielübertragung live. Vor uns thront die Festung erhaben in den Himmel, neben mir eine Fremde.
Springer nähert sich einer Königin von rechts.
Das ist nicht Liebe, das ist ein Spiel.
Weit mehr als das.
Ich fühle mich so gut wie seit Jahren nicht mehr, aber ich bin kein guter Spieler und spiele ein Spiel das sich Freiheit nennt. Höre ihr zu und kann selbst reden. Die Worte rollen aus mir heraus als wären sie schon immer dazu bestimmt gewesen. Es ist Schwachsinn und zusammenhangloses Zeug. Witz und unverständliches. Trostloses aber ehrliches. Unzensiertes. Wahres. Und es fühlt sich verdammt gut an.
Wir lachen, scherzen, schmunzeln, schweigen, genießen und beschließen wie selbstverständlich noch etwas zu bleiben. Beobachten die Aufregung dort in unserer Welt. Das Wirrwarr der Stimmen, lauschen dem dröhnen aus Carmina burana von unsichtbaren Lautsprechern. Festspielklamauk live und ungeschminkt.
Applaus im Marionettentheater der Biologie.
Sie sitzt so nahe an mir, dass ich beinahe die wärme fühlen kann die von ihrem Körper ausgeht und kann sie dennoch nicht berühren. Nicht erreichen. Nicht in ihr innerstes vordringen.
An was denkt sie?
In ihren Augen spiegelt sich der Himmel und sie sagt: „Las uns von hier verschwinden.“ Und ich sag einfach nur: „Okay!“ und: „Ein schönes Plätzchen ist überall.“
Du reduzierst dich auf das wesentliche.
chris0101 - 12. Aug, 14:55