Monat 2
Eine weiche Stimme sagt: Noch mal zehn Mäuse von mir.
Deine Welt besteht aus einem Chaos aus grellgrün flimmernden Linien. Diese unscheinbaren Geraden quer über den Monitor, die mal mehr, mal weniger Rhythmisch ausschlagen. Nur manchmal, für die Dauer einiger Sauerstoffimpulse die sie dir in die Lungen drücken, schlägt nichts mehr aus. Nicht einmal dein junges Herz.
Deine eigene, ganz private Lebensfeindliche Umgebung wird beherrscht von Schläuchen und Kabeln, Monitoren, Reglern und obskur anmutenden, aufgetürmten, gestapelten Geräten. Diesem unrhythmischem gepiepse. Dem kleinen Walzer deines Lebens. Sporadisch anhaltend und völlig aus dem Takt. Auch wenn es dich Wahnsinnig macht, außerhalb deines Aquariums würdest du diese sterile, nach in Jod getauchten Tupfer riechende Atmosphäre kaum überleben.
Die Stimme sagt: Zehn Mäuse extra, was ist nun?
Deine Welt ist steril und entseelt und empfindungslos und kalt, in deinem Makrokosmos existiert ein Zitronengelb gestrichener Horizont, von dem niemals ein Sonnenstrahl auf deine schmutzgraue Haut fällt, niemals eine frische Brise durch hellblondes, beinahe weises Haar wirbelt. So dünn sind diese paar Strähnen, die aus deiner verletzlichen Kopfhaut wuchern und dir am Nacken aus der Haube fallen. Die sie dir übergezogen haben. Mit Elektroden besetzt um deine Hirnströme zu messen. Kaum merkbare Ausschläge. Die große Narbe quer über dein Gesicht, die, wenn du Glück hast und das Wunder eintritt, wenn du überlebst, eines Tages immerhin Teile davon bedeckt. Wie gesagt, wenn du Überlebst.
Du hörst ein kurzes, abgehacktes Lachen: Du bist verrückt, niemals.
Das Lachen donnert: Ich bin hier der Arzt.
Du bemerkst wie sich dein Brustkorb langsam aufbläht. Fühlst wie er sich wieder senkt, ohne dass du auch nur einen Atemzug selbstständig ausführst. Ist doch zu komisch, oder?
Noch in deinem letzten Lebenszyklus unternahmen sie alles um dein Leben qualvoll zu beenden. Welche Ironie, denkst du, dass dies nun niemand mehr versucht.
Nahezu niemand.
Dieses mal wird alles unternommen um dein Dasein mit der gleichen Entschlossenheit und Brutalität qualvoll zu verlängern. Es ist nicht verwunderlich das du dich daran erinnern kannst. Das du alles mitbekommst. Jeden einzelnen Stich der von deinen gebrochenen Rippen durch deinen Körper jagt. Jedes verdammte mal wenn sich deine Lungen füllen.
Es wundert dich nicht, warum dir absolut klar ist, dass nur du den Schrank eines Schattens sehen kannst, diese pechschwarze Kontur die neben der Gläsernen Schiebetür lauert und dich beobachtet. Auch wenn deine Umgebung ein verschwommenes, durch die durch deinen Körper schießenden Drogen verzerrtes Spiegelbild darstellt, kannst du diese Bedrohung eindeutig erkennen.
Du weist, warum du noch immer am Leben bist.
Die weiche Stimme flüstert: Ach ja?
Dieselbe Stimme haucht: Wie wär’s wenn du mich eingehend untersuchst?
Der Dirigent deines Lebens schlägt seinen Taktstock einmal auf, Klack, und dein Brustkorb senkt sich. Verbrauchter Sauerstoff. Kein nervender Piepston. Taktpause deines Lebens.
Als der Hammer die Schläfe des Medizinstudenten traf, deines ehemaligen Freundes, schleuderte durch die Wucht des Aufpralls sein Gehirn an die gegenüber liegende Schädelwand und löste eine sofortige Lähmung aus. Seine Arme lockerten sich. Die Arme die dich umklammerten. Die dich beschützten.
Noch während du dich auf den Boden zu bewegtest, sackte sein Körper in sich zusammen als hätte man ihm mit dem Schlag sämtliche Knochen entfernt. In demselben Augenblick, in dem dir der Aufprall die Rippen brach, verweigerten Muskeln ihren Dienst und ließen seine Knie nach vorne schnellen. Ließen ihn auf dein kleines Ärmchen krachen. Auf deine Beinchen. Dein Nieren zerquetschen.
Der Schatten setzt sich in Bewegung, kommt auf dich zu.
Die dunkle Stimme, dein Arzt, sagt: Wir sind hier nicht ungestört.
Als der wuchtige, jetzt auf dir kniende Körper deines Vertrauten zur Seite fiel, träge wie ein gefällter Baum, die Arme seitlich baumelnd, die Augen weit aufgerissen vor Schmerz und Unglauben, hast du ihn zum ersten mal gesehen. Diesen Schatten. Schwarz, bis auf seine, von mattem Licht entblößten Zähne. Grinsend, von oben herab auf wild ausschlagende, zuckende Beine blickend. Auf dich. Deinen Blutverkrusteten schuldigen Körper.
Ein stummer Zeuge.
Der Rhythmus deines Lebens beginnt von neuem. Klack. Piiiep, und der nächste Tsunami rast von deiner, mit blauroten Blutergüssen überzogene Brust, schießt durch deine Augen und überflutet jede Zelle deines Gehirns, tötet jede Empfindung. Dir bleibt einzig und allein der Schmerz.
Die Flüssigkeiten aus der Schläfe des Studenten sickerte durch den Teppich, versammelte und staute sich in Holzrillen, bildete einen stinkenden Bach aus Blut und Gehirnfetzen, fanden einen kleinen Spalt und stürzte in ein Polyesterrohr. Schlängelte sich an den darin verlaufenden Elektrokabeln entlang und sammelte sich im Messing der Lampe unter euren zerstörten Körpern. Tropfte in eine Schüssel mit Paprikachips.
Und das zur Primetime.
Der Schatten wuchtet vor dir, gleich einen verschwommenen Tintenfleck auf feuchtem Papier. Die Ahnung eines Männlichen Torsos. Die Flut des Schmerzes lässt dich nicht mehr erkennen. Streicht sanft mit einer Hand über den Rand deines Aquariums. Du fühlst dass er grinst.
Deine Mitmenschen sind äußerst tolerant. Tolerieren die Flüche einer Mutter wenn sie ein blutendes Bündel Fleisch aus ihr herauspresst. Versteckt vor der restlichen Welt, um dich geheim zu halten. Du solltest von Anfang an nicht sein. Sie tolerieren eng um die Hüfte geschlungene Gürtel einer Mutter um Schwangerschaften zu verbergen. Dich zu verbergen. Sie tolerieren Drogen und in Alkohol getränkte Nächte und Schläge und Hasstriaden. Sie tolerieren blaugrün geschwollene Augen, Beine, Arme. Sie antworten deiner Mutter bejahend und behaupten, es wäre schon angebracht einen Warnhinweis vor den Treppen aufzustellen. Es wäre höchste Zeit. Wenigstens dann, wenn sie frisch gewischt wären. Die Treppen sind Daumendick mit Dreck und Staub und Glasflaschen und Nadeln und Präservativen überzogen. Jede einzelne Stufe steht vor Dreck.
Die weiche Stimme sagt: Nicht bei mir. Ich sollte mal wieder putzen.
Die Stimme kichert unterdrückt.
Deine Mitmenschen sind tolerant und kurbeln die Lautstärke ihrer flimmernden Hirntötungsmaschine etwas in die Höhe um deinen ersten Schrei nicht hören zu müssen. Um nicht mitzubekommen das es dich gibt. Stellen sich eine Schüssel Paprikachips auf den Schoß, öffnen zischend ein Dosenbier, entflammen eine Zigarette und lehnen sich genervt furzend in abgenutzte Sessel. Erhöhen die Lautstärke noch ein wenig.
Dein Arzt sagt: Lass uns von hier verschwinden.
Deine Mitmenschen sind sehr tolerant wenn es darum geht, über die Anzahl der Männer hinwegzusehen, die sich tagtäglich in die Wohnung über ihnen schleichen. Oder neben ihnen. Darunter. Gegenüber. Lauschen dem stöhnen. Den Schlägen. Keuchende Erniedrigungen. Sie beantworten die Frage, ob es den ihr Kind sein könnte mit einem klaren nein. So tolerant sind sie. Alles nur ein guter Deal. A Blowjob a day, keeps the Police away.
Ein pechschwarzer Schatten taucht in dein Aquarium.
Herzfrequenz: steigt.
Eine Berührung. Nicht mehr als ein Windhauch über deinen seitlich gelagerten Kopf. Über deine Narbe.
Werbebotschaften hallen durch die Gänge des Baufälligen Gebäudes. Sportübertragungen. Krankenhausserien. Kochduelle und Softpornos. Traumwelten. Die Unterhaltung deiner toleranten Nachbarn. Reality Soaps verdrängen die Wirklichkeit.
Ein Fußtritt brach dir die Hüfte. Schleuderte dich an eine Wand. Ein kleiner roter Fleck am bröselnden Verputz.
Eine grelle Stimme, die deiner Mutter, hallte durch das Stiegenhaus. Übertrumpfte Marilyn Manson. Du hast aufgehört zu schreien.
Mal ehrlich: Wenn interessiert das schon.
Ein Gemisch aus Blut und Gehirn staut sich in der Messingabdeckung der Hängeleuchte, bildete zähe Fäden, schlängelte sich über eine verrostete Kette, der Goldlack längst abgeblättert. Bahnte sich seinen Weg über ein Stoffmuster von Blumen. Sonnenblumen. Rosen. Lilien. Kitsch.
Das Geschrei deiner Mutter ließ den Mann mit dem Beil vor der Tür anhalten. Der Mann mit dem Jutesack. Dem leeren Jutesack. Dem Beil mit der feucht glänzenden Rückseite. Der flachen Seite.
Und das zur Primetime.
Mal ehrlich: Würdest du nicht auch die Staatsmacht herbeizitieren wenn eine Mischung aus Blut und Gehirn in deine Paprikachips klatscht?
Die weiche Stimme sagt: Das geht doch nicht.
Sie sagt: Sie müssten jeden Moment hier sein. Noch etwas Geduld, ja?
Ein dunkler Windhauch streift über deinen wehrlosen Körper. Deinem gebrochenen Arm. Der zertrümmerten Hüfte. Taucht in dich ein.
Körpertemperatur: sinkt.
Vereinigt sich mit deiner Wahrnehmung, deiner Erinnerung und Gedanken. Deiner unentdeckten Wirklichkeit. Deinem zurückgezogenem ich.
Die Elektroden an deinem zuckenden kleinen Schädel bringen dutzende Linien eines Monitors zum kollabieren. Deine Welt ein einziger, durchgehender Piepston. Das hektische schnauben des Sauerstoffgerätes.
Dein Puls: rast.
Zarte Gummihände berühren dich.
Viertelpause im Walzer deines Lebens.
Du stehst plötzlich etwas abseits und beobachtest eine Frau. Du bist kein wehrloser Säugling mehr. Nicht mehr der Bewusstseinstaucher in einem kleinen Aquarium. Der Schotter unter deinen Beinen ist real. Die stechende Kälte. Das wirbelnde Laub. Gelb. Rot und braun. Der böige Wind peitscht ihr immer wieder blonde Strähnen, die sie sich mit einer Hand hinters Ohr klemmt, ins Gesicht. In der anderen hält sie einen Strauß frischer Rosen. Gelber Gerbera und grünes Beiwerk. Die morgendliche Luft ist erfüllt mit dem Geruch von frischer Erde und der Feuchtigkeit eines soeben nachgelassenen Regens. Sie trägt eine dunkle Sonnenbrille und unter ihrem Rauchgrauen Mantel glänzen Schlammspritzer an blassen Beinen. Dunkle, unter dem Gewicht des Regens knarrende Bäume wiegen im aufkommenden Sturm, auf den Gipfeln der fernen Berge kauern dicke Gewitter. Blitze zucken. Der Geruch von erstem Schnee wirbelt um dein Gesicht. Die Frau hat noch Zeit sich neben die Vase zu knien, eher du das grollen des Donners hörst. Auf das rötlich marmorisierte Gestein welches das Grab umgibt. Neben den wuchtigen Grabstein.
Du beobachtest die Frau wie ihr die Vase aus der Hand gleitet, hörst ihr Fluchen als sie ihr auf die Knie knallt und in den Matsch hinter den Grabstein rollt. In diese kleine Pfütze.
Die weiche Stimme flucht: Verdammte Scheiße, bleib hier.
Der Boden dahinter, vom anhaltenden Regen völlig durchweicht, der massive Grabstein unterspült, bietet den hohen Absätzen ihrer Schuhe kaum halt, gibt nach. Du beobachtest wie sie einknickt, sich, um den Sturz zu verhindern, am steinernen Denkmal festkrallt. Du beobachtest sie aus der ferne, während du jeden Tropfen fühlst den dir der aufkommende Sturm wie Nadeln in dein Gesicht hämmert.
Hörst das klatschen als ihre Handfläche im nassen Boden versinkt, das dumpfe aufschlagen ihrer Knie, die andere Hand noch am kippenden Grabstein. Durch das donnern hindurch erkennst du die Panik in ihrer Stimme. Die Erkenntnis. Der Moment in dem die Zeit still steht. Für die Winzigkeit eines Wimpernschlages siehst du ihr in die Augen. Erkennt sie dich.
Entsetzen das sich in ihren Augen spiegelt.
Die weiche Stimme flüstert: Du Bastard.
Dein Arzt sagt: Was?
Der Kopf der Frau, deiner Arzthelferin, wird vom Gewicht des Grabsteines in den schlammigen Boden gedrückt. Ihr offener Mund mit Erde gefüllt. Du beobachtest noch das letzte aufbäumen ihres Körpers, das zucken ihrer Beine, dann liegst du wieder in deinem Aquarium. Der Schatten ist verschwunden.
Dein Arzt sagt: Zehn Mäuse das der kleine Kerl den Herbst nicht überlebt.
Mal ehrlich: Wenn interessiert das noch?
Deine Welt besteht aus einem Chaos aus grellgrün flimmernden Linien. Diese unscheinbaren Geraden quer über den Monitor, die mal mehr, mal weniger Rhythmisch ausschlagen. Nur manchmal, für die Dauer einiger Sauerstoffimpulse die sie dir in die Lungen drücken, schlägt nichts mehr aus. Nicht einmal dein junges Herz.
Deine eigene, ganz private Lebensfeindliche Umgebung wird beherrscht von Schläuchen und Kabeln, Monitoren, Reglern und obskur anmutenden, aufgetürmten, gestapelten Geräten. Diesem unrhythmischem gepiepse. Dem kleinen Walzer deines Lebens. Sporadisch anhaltend und völlig aus dem Takt. Auch wenn es dich Wahnsinnig macht, außerhalb deines Aquariums würdest du diese sterile, nach in Jod getauchten Tupfer riechende Atmosphäre kaum überleben.
Die Stimme sagt: Zehn Mäuse extra, was ist nun?
Deine Welt ist steril und entseelt und empfindungslos und kalt, in deinem Makrokosmos existiert ein Zitronengelb gestrichener Horizont, von dem niemals ein Sonnenstrahl auf deine schmutzgraue Haut fällt, niemals eine frische Brise durch hellblondes, beinahe weises Haar wirbelt. So dünn sind diese paar Strähnen, die aus deiner verletzlichen Kopfhaut wuchern und dir am Nacken aus der Haube fallen. Die sie dir übergezogen haben. Mit Elektroden besetzt um deine Hirnströme zu messen. Kaum merkbare Ausschläge. Die große Narbe quer über dein Gesicht, die, wenn du Glück hast und das Wunder eintritt, wenn du überlebst, eines Tages immerhin Teile davon bedeckt. Wie gesagt, wenn du Überlebst.
Du hörst ein kurzes, abgehacktes Lachen: Du bist verrückt, niemals.
Das Lachen donnert: Ich bin hier der Arzt.
Du bemerkst wie sich dein Brustkorb langsam aufbläht. Fühlst wie er sich wieder senkt, ohne dass du auch nur einen Atemzug selbstständig ausführst. Ist doch zu komisch, oder?
Noch in deinem letzten Lebenszyklus unternahmen sie alles um dein Leben qualvoll zu beenden. Welche Ironie, denkst du, dass dies nun niemand mehr versucht.
Nahezu niemand.
Dieses mal wird alles unternommen um dein Dasein mit der gleichen Entschlossenheit und Brutalität qualvoll zu verlängern. Es ist nicht verwunderlich das du dich daran erinnern kannst. Das du alles mitbekommst. Jeden einzelnen Stich der von deinen gebrochenen Rippen durch deinen Körper jagt. Jedes verdammte mal wenn sich deine Lungen füllen.
Es wundert dich nicht, warum dir absolut klar ist, dass nur du den Schrank eines Schattens sehen kannst, diese pechschwarze Kontur die neben der Gläsernen Schiebetür lauert und dich beobachtet. Auch wenn deine Umgebung ein verschwommenes, durch die durch deinen Körper schießenden Drogen verzerrtes Spiegelbild darstellt, kannst du diese Bedrohung eindeutig erkennen.
Du weist, warum du noch immer am Leben bist.
Die weiche Stimme flüstert: Ach ja?
Dieselbe Stimme haucht: Wie wär’s wenn du mich eingehend untersuchst?
Der Dirigent deines Lebens schlägt seinen Taktstock einmal auf, Klack, und dein Brustkorb senkt sich. Verbrauchter Sauerstoff. Kein nervender Piepston. Taktpause deines Lebens.
Als der Hammer die Schläfe des Medizinstudenten traf, deines ehemaligen Freundes, schleuderte durch die Wucht des Aufpralls sein Gehirn an die gegenüber liegende Schädelwand und löste eine sofortige Lähmung aus. Seine Arme lockerten sich. Die Arme die dich umklammerten. Die dich beschützten.
Noch während du dich auf den Boden zu bewegtest, sackte sein Körper in sich zusammen als hätte man ihm mit dem Schlag sämtliche Knochen entfernt. In demselben Augenblick, in dem dir der Aufprall die Rippen brach, verweigerten Muskeln ihren Dienst und ließen seine Knie nach vorne schnellen. Ließen ihn auf dein kleines Ärmchen krachen. Auf deine Beinchen. Dein Nieren zerquetschen.
Der Schatten setzt sich in Bewegung, kommt auf dich zu.
Die dunkle Stimme, dein Arzt, sagt: Wir sind hier nicht ungestört.
Als der wuchtige, jetzt auf dir kniende Körper deines Vertrauten zur Seite fiel, träge wie ein gefällter Baum, die Arme seitlich baumelnd, die Augen weit aufgerissen vor Schmerz und Unglauben, hast du ihn zum ersten mal gesehen. Diesen Schatten. Schwarz, bis auf seine, von mattem Licht entblößten Zähne. Grinsend, von oben herab auf wild ausschlagende, zuckende Beine blickend. Auf dich. Deinen Blutverkrusteten schuldigen Körper.
Ein stummer Zeuge.
Der Rhythmus deines Lebens beginnt von neuem. Klack. Piiiep, und der nächste Tsunami rast von deiner, mit blauroten Blutergüssen überzogene Brust, schießt durch deine Augen und überflutet jede Zelle deines Gehirns, tötet jede Empfindung. Dir bleibt einzig und allein der Schmerz.
Die Flüssigkeiten aus der Schläfe des Studenten sickerte durch den Teppich, versammelte und staute sich in Holzrillen, bildete einen stinkenden Bach aus Blut und Gehirnfetzen, fanden einen kleinen Spalt und stürzte in ein Polyesterrohr. Schlängelte sich an den darin verlaufenden Elektrokabeln entlang und sammelte sich im Messing der Lampe unter euren zerstörten Körpern. Tropfte in eine Schüssel mit Paprikachips.
Und das zur Primetime.
Der Schatten wuchtet vor dir, gleich einen verschwommenen Tintenfleck auf feuchtem Papier. Die Ahnung eines Männlichen Torsos. Die Flut des Schmerzes lässt dich nicht mehr erkennen. Streicht sanft mit einer Hand über den Rand deines Aquariums. Du fühlst dass er grinst.
Deine Mitmenschen sind äußerst tolerant. Tolerieren die Flüche einer Mutter wenn sie ein blutendes Bündel Fleisch aus ihr herauspresst. Versteckt vor der restlichen Welt, um dich geheim zu halten. Du solltest von Anfang an nicht sein. Sie tolerieren eng um die Hüfte geschlungene Gürtel einer Mutter um Schwangerschaften zu verbergen. Dich zu verbergen. Sie tolerieren Drogen und in Alkohol getränkte Nächte und Schläge und Hasstriaden. Sie tolerieren blaugrün geschwollene Augen, Beine, Arme. Sie antworten deiner Mutter bejahend und behaupten, es wäre schon angebracht einen Warnhinweis vor den Treppen aufzustellen. Es wäre höchste Zeit. Wenigstens dann, wenn sie frisch gewischt wären. Die Treppen sind Daumendick mit Dreck und Staub und Glasflaschen und Nadeln und Präservativen überzogen. Jede einzelne Stufe steht vor Dreck.
Die weiche Stimme sagt: Nicht bei mir. Ich sollte mal wieder putzen.
Die Stimme kichert unterdrückt.
Deine Mitmenschen sind tolerant und kurbeln die Lautstärke ihrer flimmernden Hirntötungsmaschine etwas in die Höhe um deinen ersten Schrei nicht hören zu müssen. Um nicht mitzubekommen das es dich gibt. Stellen sich eine Schüssel Paprikachips auf den Schoß, öffnen zischend ein Dosenbier, entflammen eine Zigarette und lehnen sich genervt furzend in abgenutzte Sessel. Erhöhen die Lautstärke noch ein wenig.
Dein Arzt sagt: Lass uns von hier verschwinden.
Deine Mitmenschen sind sehr tolerant wenn es darum geht, über die Anzahl der Männer hinwegzusehen, die sich tagtäglich in die Wohnung über ihnen schleichen. Oder neben ihnen. Darunter. Gegenüber. Lauschen dem stöhnen. Den Schlägen. Keuchende Erniedrigungen. Sie beantworten die Frage, ob es den ihr Kind sein könnte mit einem klaren nein. So tolerant sind sie. Alles nur ein guter Deal. A Blowjob a day, keeps the Police away.
Ein pechschwarzer Schatten taucht in dein Aquarium.
Herzfrequenz: steigt.
Eine Berührung. Nicht mehr als ein Windhauch über deinen seitlich gelagerten Kopf. Über deine Narbe.
Werbebotschaften hallen durch die Gänge des Baufälligen Gebäudes. Sportübertragungen. Krankenhausserien. Kochduelle und Softpornos. Traumwelten. Die Unterhaltung deiner toleranten Nachbarn. Reality Soaps verdrängen die Wirklichkeit.
Ein Fußtritt brach dir die Hüfte. Schleuderte dich an eine Wand. Ein kleiner roter Fleck am bröselnden Verputz.
Eine grelle Stimme, die deiner Mutter, hallte durch das Stiegenhaus. Übertrumpfte Marilyn Manson. Du hast aufgehört zu schreien.
Mal ehrlich: Wenn interessiert das schon.
Ein Gemisch aus Blut und Gehirn staut sich in der Messingabdeckung der Hängeleuchte, bildete zähe Fäden, schlängelte sich über eine verrostete Kette, der Goldlack längst abgeblättert. Bahnte sich seinen Weg über ein Stoffmuster von Blumen. Sonnenblumen. Rosen. Lilien. Kitsch.
Das Geschrei deiner Mutter ließ den Mann mit dem Beil vor der Tür anhalten. Der Mann mit dem Jutesack. Dem leeren Jutesack. Dem Beil mit der feucht glänzenden Rückseite. Der flachen Seite.
Und das zur Primetime.
Mal ehrlich: Würdest du nicht auch die Staatsmacht herbeizitieren wenn eine Mischung aus Blut und Gehirn in deine Paprikachips klatscht?
Die weiche Stimme sagt: Das geht doch nicht.
Sie sagt: Sie müssten jeden Moment hier sein. Noch etwas Geduld, ja?
Ein dunkler Windhauch streift über deinen wehrlosen Körper. Deinem gebrochenen Arm. Der zertrümmerten Hüfte. Taucht in dich ein.
Körpertemperatur: sinkt.
Vereinigt sich mit deiner Wahrnehmung, deiner Erinnerung und Gedanken. Deiner unentdeckten Wirklichkeit. Deinem zurückgezogenem ich.
Die Elektroden an deinem zuckenden kleinen Schädel bringen dutzende Linien eines Monitors zum kollabieren. Deine Welt ein einziger, durchgehender Piepston. Das hektische schnauben des Sauerstoffgerätes.
Dein Puls: rast.
Zarte Gummihände berühren dich.
Viertelpause im Walzer deines Lebens.
Du stehst plötzlich etwas abseits und beobachtest eine Frau. Du bist kein wehrloser Säugling mehr. Nicht mehr der Bewusstseinstaucher in einem kleinen Aquarium. Der Schotter unter deinen Beinen ist real. Die stechende Kälte. Das wirbelnde Laub. Gelb. Rot und braun. Der böige Wind peitscht ihr immer wieder blonde Strähnen, die sie sich mit einer Hand hinters Ohr klemmt, ins Gesicht. In der anderen hält sie einen Strauß frischer Rosen. Gelber Gerbera und grünes Beiwerk. Die morgendliche Luft ist erfüllt mit dem Geruch von frischer Erde und der Feuchtigkeit eines soeben nachgelassenen Regens. Sie trägt eine dunkle Sonnenbrille und unter ihrem Rauchgrauen Mantel glänzen Schlammspritzer an blassen Beinen. Dunkle, unter dem Gewicht des Regens knarrende Bäume wiegen im aufkommenden Sturm, auf den Gipfeln der fernen Berge kauern dicke Gewitter. Blitze zucken. Der Geruch von erstem Schnee wirbelt um dein Gesicht. Die Frau hat noch Zeit sich neben die Vase zu knien, eher du das grollen des Donners hörst. Auf das rötlich marmorisierte Gestein welches das Grab umgibt. Neben den wuchtigen Grabstein.
Du beobachtest die Frau wie ihr die Vase aus der Hand gleitet, hörst ihr Fluchen als sie ihr auf die Knie knallt und in den Matsch hinter den Grabstein rollt. In diese kleine Pfütze.
Die weiche Stimme flucht: Verdammte Scheiße, bleib hier.
Der Boden dahinter, vom anhaltenden Regen völlig durchweicht, der massive Grabstein unterspült, bietet den hohen Absätzen ihrer Schuhe kaum halt, gibt nach. Du beobachtest wie sie einknickt, sich, um den Sturz zu verhindern, am steinernen Denkmal festkrallt. Du beobachtest sie aus der ferne, während du jeden Tropfen fühlst den dir der aufkommende Sturm wie Nadeln in dein Gesicht hämmert.
Hörst das klatschen als ihre Handfläche im nassen Boden versinkt, das dumpfe aufschlagen ihrer Knie, die andere Hand noch am kippenden Grabstein. Durch das donnern hindurch erkennst du die Panik in ihrer Stimme. Die Erkenntnis. Der Moment in dem die Zeit still steht. Für die Winzigkeit eines Wimpernschlages siehst du ihr in die Augen. Erkennt sie dich.
Entsetzen das sich in ihren Augen spiegelt.
Die weiche Stimme flüstert: Du Bastard.
Dein Arzt sagt: Was?
Der Kopf der Frau, deiner Arzthelferin, wird vom Gewicht des Grabsteines in den schlammigen Boden gedrückt. Ihr offener Mund mit Erde gefüllt. Du beobachtest noch das letzte aufbäumen ihres Körpers, das zucken ihrer Beine, dann liegst du wieder in deinem Aquarium. Der Schatten ist verschwunden.
Dein Arzt sagt: Zehn Mäuse das der kleine Kerl den Herbst nicht überlebt.
Mal ehrlich: Wenn interessiert das noch?
chris0101 - 7. Aug, 13:39